Wir sprechen mit vielen Führungskräften, Projektleitern und Innovationsmanagern über die Innovationspraxis in ihren Unternehmen. Oft hören wir dabei, dass Neuproduktprojekte selbstverständlich durch einen Stage-Gate®-Prozess gehen. Dies sei ja schließlich State-of-the-Art. Dazu nicken wir dann wissend und zustimmend.

Bei genauerem Nachfragen zeigt sich in diesen Gesprächen häufig, dass die Unternehmen nur einen Stage-Prozess und keinen Stage-Gate®-Prozess leben:
Für die Stages (Phasen) ist definiert und beschrieben, welche Aktivitäten in welcher Qualität mit welchen Methoden und Dokumentvorlagen durchzuführen sind.
Die Gates überschreitet man wie Meilensteine: Projektauftraggeber und Projektteam blicken auf den soeben absolvierten Stage zurück (Review) und haken Erledigtes ab. Der Unterschied zwischen Meilenstein und Gate wird leicht übersehen. Schade! Er ist der größte Hebel, um den vollen Nutzen eines Stage-Gate®-Systems auszuschöpfen.

Was Sie verlieren, wenn Sie in Ihrem Unternehmen Meilenstein-Meetings anstelle von Gates durchführen, und wie Sie Gates zu einem mächtigen Instrument in Ihrem Innovationsmanagement machen, erfahren Sie, wenn Sie weiterlesen.

Zwei zentrale Aufgaben von Gates

1. Risikomanagement
Stage-Gate®-Prozesse dienen dazu, das unternehmerische Risiko von Neuproduktentwicklungen „in den Griff zu bekommen“. Die Formel für das Risiko ist wie folgt:Unternehmerisches RisikoEs geht also um die Frage „Wie viel Geld setzen wir im schlimmsten Fall in den Sand?“. Zwei Überlegungen sind dazu hilfreich:

    • Wie viele Ressourcen müssen wir einsetzen, um das neue Produkt auf die Welt zu bringen?
      Man denke hier an Projektkosten (Arbeitszeit, Arbeitsmittel) sowie an Investitionen in Maschinen, Lizenzen, Produktionsanlagen, etc.
    • Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns des Projekts?
      Diese hängt ab von der technischen Machbarkeit des Vorhabens im allgemeinen sowie von den eigenen Erfolgsvoraussetzungen (z.B. Know-How, Markt-Zugang). Ausserdem kann die Qualität der Projektarbeit (wie viel Tiefgang haben die Analysen, wie vollständig wird das Thema beleuchtet, …) das Projekt zum Fliegen oder zu Fall bringen.

Das Problem ist: Zu Beginn eines innovativen Projekts wissen wir meist wenig über tatsächliche Dauer, Kosten und Machbarkeit. Insofern ähneln Innovationsvorhaben dem Texas-Hold’em Pokerspiel. Zu Beginn einer Poker-Runde kenne ich als Spieler nur meine eigenen zwei Karten. Setze ich das Minimum, bekomme ich relativ viel zusätzliche Information: Ich darf drei weitere Karten sehen, die mir helfen abzuschätzen, wie erfolgreich ich mit meiner Hand in diesem Spiel sein kann. Will ich weiter mitmachen und Karte vier und fünf sehen, muss ich meist mehr Geld in die Mitte legen. So ist es auch im Neuproduktprojekt: In den frühen Phasen beschafft das Projektteam mit relativ geringem Ressourceneinsatz Informationen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit besser beurteilen und den Ressourcenbedarf besser einschätzen zu können. Je weiter ein Projekt fortschreitet desto mehr muss man investieren, um voran zu kommen. Die Entwicklungsphase ist meist kostenintensiver als die vorangegangene Konzeptionsphase. Geht es in die produktionstechnische Umsetzung, wird es meist richtig teuer.

Unternehmerisch klug ist daher, wie beim Poker den Ressourceneinsatz für das Projekt zu staffeln und nicht schon am Anfang das ganze Budget auf den Tisch zulegen. Genau das geschieht in Gates. Meilenstein-Review-Meetings können dafür sorgen, dass das Projekt richtig gemacht wird. Ein Gate beantwortet immer auch die Frage, ob es (immer noch) das richtige Projekt ist und wie viel aufgrund des aktuellen Stands des Wissens und Projektfortschrittes weiter investiert werden soll.

2. Projekt-Durchführung mit voller Kraft

Unternehmen, in denen Gates nicht funktionieren, haben häufig zu viele Projekte mit zu wenig Ressourcen. Projektleiter und –teams sind überlastet, Budgets werden gekürzt. Die Projekte dauern länger. Versuchen die Projektteams dennoch, an den ursprünglichen Zeitplänen – verabschiedet unter der Annahme ausreichender Ressourcenausstattung – festzuhalten, leidet meist die Qualität der Projektarbeit. Dies führt wiederum zu mehr Risiko im Projekt und im schlimmsten Fall zu Flops am Markt, die man hätte vermeiden können.

Neben dem finanziellen Verlust und dem möglichen Image-Schaden für das Unternehmen besteht auch noch die Gefahr, Projektmitarbeiter zu verlieren. Entweder sie werden aufgrund der ständigen Überlastung krank oder verlassen frustriert das Unternehmen.

Gates sorgen dafür, dass jeder Stage realistisch geplant wird und Projektfreigaben nur erfolgen, wenn auch gewährleistet ist, dass die erforderlichen Ressourcen bereitstehen.

Woran man funktionierende Gates erkennt

Teilnehmer am Gate

Gates sind keine Projekt-Informationsmeetings für Interessierte. Am Gate nehmen ausschließlich jene Personen teil, die für die anstehende Entscheidung gebraucht werden. In der Regel sind es die Führungskräfte jener Personen, die im nächsten Stage im Projekt arbeiten sollen. Dabei ist sicherzustellen, dass diese Führungskräfte die notwendige fachliche Qualifikation und Erfahrung mitbringen, um das Projekt zu bewerten. Außerdem müssen die Gatekeeper gemeinsam die Befugnis besitzen, die notwendigen Ressourcen für den nächsten Stage freizugeben.

Neben den Gatekeepern sollte zumindest der Projektleiter, besser aber das gesamte Projektteam am Gate-Meeting teilnehmen. Auf diese Weise werden die getroffenen Entscheidungen für das Projektteam transparent und nachvollziehbar.

Ablauf eines Gates

Vor dem Gate:

Das Projektteam erarbeitet die sogenannten „Deliverables“: Ein Informationspaket als Grundlage für die Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch des Projekts. Es beinhaltet in der Regel Informationen zu Produktkonzept, Markt und Machbarkeit, zu Chancen und Risiken des Projekts, eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sowie den Aktivitäten-, Zeit- und Ressourcenplan für den nächsten Stage.

Die Deliverables sollten maximal 10 Seiten umfassen. Andernfalls steigt die Gefahr, dass die Gatekeeper nicht die Zeit finden, diese vor dem Gate zu studieren. Details können zum Vertiefen und Nachlesen gesondert bereitgestellt werden.

Beim Gate-Meeting:

Beim Gate-Meeting wird ein dreistufiger Diskussions- und Entscheidungsprozess durchlaufen.

Diskussions- und Entscheidungsprozess

  • Zunächst beurteilen die Gatekeeper die Qualität der Projektarbeit des letzten Stages.
    Lässt sich auf Basis der bereitgestellten Information keine gute Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen, lautet die Entscheidung „recycle“. Das bedeutet, das Projektteam geht in den letzten Stage zurück und erarbeitet die fehlenden Informationen in gewünschter Qualität.
  • Ist die Qualität der Projektarbeit ok, bewerten die Gatekeeper die Attraktivität des Projekts anhand erforschter Erfolgsfaktoren für Neuprodukte. Entsprechende Kriterien sind u.a. Strategie-Fit, Kundennutzen, Wettbewerbsvorteil, Marktattraktivität, technische Machbarkeit, wirtschaftliche Attraktivität. Jeder Gatekeeper beurteilt individuell anhand einer Scorecard die Attraktivität des Projekts. Die Bewertungen aller Gatekeeper werden dann miteinander verglichen. Die Diskussion fokussiert sich vor allem auf jene Kriterien, welche die Gatekeeper stark unterschiedlich bewertet haben.
    Wir haben schon öfters beobachtet, dass Unterschiede in der Bewertung des Projekts nicht zuletzt daher rühren, dass die Gatekeeper verschiedene Vorstellungen haben, was eigentlich Ziel des Projekts ist. Somit bietet das Gate eine gute Plattform ein einheitliches Verständnis dafür zu schaffen.
    Sind sich die Gatekeeper einig, dass das Projekt wenig attraktiv ist, wird es an dieser Stelle gestoppt.
  • Passt die Attraktivität des Projekts, geht es im dritten Schritt um die Freigabe der Ressourcen für den nächsten Stage. Manche Unternehmen werfen an dieser Stelle auch einen Blick auf das gesamte Neuproduktprojekte-Portfolio und ordnen das zu entscheidende Projekt gegenüber den anderen Projekten ein.
    Diskussionsgrundlage für die Timing- und Ressourcenentscheidung ist ein vom Projektteam vorbereiteter Plan für den folgenden Stage. Jede Führungskraft prüft (idealerweise schon vor dem Gate), inwieweit die Ressourcen (Personen und Budget) im geforderten Maß verfügbar sind. Nur falls ja, kann es eine „Go“-Entscheidung geben. Andernfalls ist die Entscheidung „Wait“: Das Projekt wird bis zu einem bestimmten Termin oder Ereignis (z.B. Abschluss eines anderen Projekts) auf Eis gelegt.

Alles in allem sollte ein gut vorbereitetes Gate-Meeting nicht länger als 90 Minuten dauern.

Emotionale Aspekte eines Gates

Bei all den formalen Aspekten eines Gates darf nicht vergessen werden, dass Gates insbesondere emotional eine Herausforderung sein können. Ein Projekt zu stoppen ist eine unangenehme Aufgabe, die den Gatekeepern viel abverlangt.

Möglicherweise hat das Projektteam „Herzblut“ in das Projekt gelegt. Eine Stopp-Entscheidung tut weh und stößt die Mitarbeiter vor den Kopf. Die Führungskräfte müssen klarstellen, dass der Projektabbruch kein Versagen des Projektteams bedeutet. Sonst wäre ja eine „recycle“-Entscheidung erfolgt. Vielmehr ist zu würdigen, dass das Projektteam mit seiner Arbeit und mit den bereitgestellten Informationen eine für das Unternehmen sinnvolle Entscheidung ermöglicht hat. Wichtig ist auch, dass die vom Stopp betroffenen Mitarbeiter nun neue, motivierende Aufgaben bekommen.

Häufig wäre es für Gatekeeper einfacher ein Projekt weiterlaufen zu lassen, in der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch erfolgreich wird. Scheitert ein solches Projekt dann, kann man es immer noch unter „Lernerfahrung“ verbuchen. Mit dem Projektstopp nehmen die Gatekeeper dem Projekt die Möglichkeit, doch noch etwas zu bringen. Das erfordert mitunter mehr Mut. Die Stoppentscheidung ist aber für alle anderen laufenden Projekte wichtig. Durch Fokussierung und Konzentration der Ressourcen auf die attraktivsten Projekte steigen deren Erfolgschancen und verkürzt sich die Time-to-Market.

Praxisrelevanz

Dazu finden wir folgende Erfahrung interessant: five is veranstaltet seit zwei Jahren das Seminar „Beyond Stage-Gate®“ mit Prof. Cooper. Haupt-Thema ist dort, wie man Stage-Gate® mit neuen Ansätzen, wie agiles Entwickeln, Design Thinking oder Business Model Innovation erweitern und ergänzen sollte. Nach jedem Seminar fragen wir die Teilnehmer, welche Aspekte sie aus dem Seminar mitnehmen und in ihrem Unternehmen vordringlich umsetzen wollen. Die meisten Teilnehmer aus namhaften europäischen Unternehmen antworten: „Zunächst müssen wir unser klassisches Stage-Gate®-System, insbesondere die Gates zum Laufen bringen. Erst danach macht es Sinn, uns den neuen Methoden zu widmen!“

Das nächste Seminar „Beyond Stage-Gate®“ mit Prof. Robert G. Cooper findet am 17. und 18. Oktober 2016 in Darmstadt statt. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn Sie Gates in Ihrem Innovationsprozess etablieren oder verbessern möchten, besuchen Sie eines der folgenden Seminare oder kontaktieren Sie uns direkt.