Städtereisen sind für Viele etwas Wunderbares. Im Reiseführer lassen sich beliebte Sehenswürdigkeiten nachschlagen, wir können entscheiden, welche wir uns ansehen wollen, und vorab überlegen, in welcher Reihenfolge wir sie besuchen. Der Weg dorthin ist meist leicht herauszufinden und einfach zu bewältigen. Wer in Manhattan das Empire State Building besuchen möchte, fährt mit der U-Bahn zur Station Herald Square in der 34. Straße. Gegebenenfalls muss man umsteigen, aber auch dabei ist alles bestens ausgeschildert. Von der Haltestelle sind es dann nur wenige Schritte zum weltberühmten Gebäude. Wer stattdessen lieber etwas von der Stadt sehen möchte, kann sich zu Fuß auf den Weg machen und entlang der rechtwinklig angeordneten Straßen den Weg finden. Auch hierbei kann nicht viel schief gehen – schließlich ist das ikonische Hochhaus weithin sichtbar und kann kaum verfehlt werden. In jedem Fall sind sowohl das Ziel als auch der Weg dorthin klar, und dank der Fahrpläne und Google Maps lässt sich sogar zuverlässig abschätzen, wie lange es bis zur Ankunft dauert.

Auch wenn gelegentlich vom „Großstadtdschungel“ gesprochen wird, ist ein Abenteuerurlaub doch der komplette Gegenentwurf dazu. Hier ist jetzt kein geführter Tages­ausflug gemeint oder der Aufent­halt im „naturnahen Resort“, sondern ein echter Survival-Trip in die Wildnis. Der ist geprägt von Entdeckung, Überraschungen und Improvisation und dem Überwinden von Hindernis­sen. Dort gibt es weder menschen­gemachte moderne Sehens­würdig­keiten noch Straßen noch ein U-Bahn-Netz. Jeden, der das annimmt, würden wir milde belächeln – das kann nur ein „Großstadttourist“ sein.

Selbstverständlich ist keine der beiden Urlaubsvorlieben oder Vorgehensweisen besser als die andere. Es kommt darauf an, dass das Vorgehen zur Umgebung passt, in der wir uns bewegen. Übertragen auf den Innovationsprozess bedeutet das, dass sowohl der zielorientiert-strukturierte Angang als auch die explorativ-offene Herangehensweise gleichermaßen ihre Berechtigung haben – je nachdem, wo man sich befindet und was man vorhat.

Die Entwicklung eines Erweiterungsprodukts oder eines Me-Too-Angebots ähnelt eher einem Städtetrip. Das Ziel ist klar definiert und bekanntermaßen beliebt. Die nötige Infrastruktur für einen planbaren Durchlauf der Entwicklung ist bereits geschaffen. Der Prozess hat fixe Meilensteine, die nacheinander angesteuert werden, quasi nach Fahrplan.

Wenn es hingegen um die Entwicklung eines neuen, spannenden und begeisternden Angebots geht, dann funktioniert davon nichts mehr. Der Such- und Findeprozess gestaltet sich vielmehr wie eine Expedition in den Dschungel: einen fruchtbaren unübersichtlichen Urwald voller verborgener Schätze, in dem aber auch Gefahren lauern, und wo Irrwege plötzlich an unüberwindbaren Schluchten enden können.

Nur wenige geborene Abenteurer stürzen sich begeistert in so eine Reise. Für die Meisten ist es ein großer Schritt aus ihrer Komfortzone. Klare Strukturen dagegen geben Sicherheit und sind eher die gewohnte Umgebung. Da kann schon mal die Versuchung entstehen, möglichst schnell im Urwald Schneisen zu schlagen und Wege anzulegen. Abgesehen davon, dass das gar nicht so einfach ist wie es sich der gemeine Städter vorstellt, ist es auch meist nur bedingt sinnvoll. Zum einen birgt es die Gefahr, dass wir eine vorhandene Straße nehmen, weil es bequemer ist, ohne uns zu fragen, ob sie auch wirklich dahin führt, wo wir hinwollen. Zum anderen zerstören die Schneisen genau das Ökosystem, das die spannende Vielfalt hervorbringt.

Auch im Kontext von Innovation wird inzwischen häufig von „Ökosystemen“ gesprochen. Das lässt schon erahnen, dass es sich dabei um eine komplexe Angelegenheit handelt. Beim Umgang damit dominieren allerdings dann doch immer wieder althergebrachte Muster oder vorschnelle, nur vermeintlich logische Schlussfolgerungen. „Damit haben wir uns schon beschäftigt, da ist nichts für uns drin,“ hört man beispielsweise. Hat da jemand im Reiseführer geblättert und Wildnis-Sehenswürdigkeiten gesucht? Oder gab es tatsächlich eine Expedition in den unberührten Regenwald? Falls ja, hat das dichte Unterholz die Orientierung behindert, sodass vor lauter Bäumen der Urwald nicht mehr erkennbar war? Oder wurde zur besseren Navigation sogar teilweise abgeholzt? Dann sollte es nicht weiter verwundern, dass da „nichts“ mehr war.

Ganz klar, nicht jeder steht auf den Nervenkitzel einer Expedition in völlig fremdem und unerschlossenem Terrain. Das gilt auch für viele Unternehmen. Übersichtlichkeit, Klarheit und Strukturen erleichtern das Vorankommen im Alltag doch ungemein. Ein Ziel, wie beispielsweise „Lasst uns mit Feature x den Lifecycle von Produkt y verlängern!“ vermittelt die Illusion von Klarheit und Sicherheit. Das mögen wir. Fokussierte Ziele laden zum analytisch-logischen Denken ein. Allzu oft führen sie aber auch dazu, dass wir nicht mehr nach links und rechts schauen, und dass der Fokus zum Tunnelblick wird.

Formuliert man hingegen als Ausgangspunkt eines Innovationsprozesses ein Anliegen wie „Wie können wir unsere Kunden aus Kundensegment z überraschen und begeistern?“, dann liegt es näher, sich lösungsoffen auf die Suche zu machen und mit lateralem Denken kreative, neuartige Ideen zu ermöglichen.

Wer sich auf dem vermeintlichen Weg zur begeisternden nächsten Innovation im klimatisierten U-Bahnabteil findet und beim Blick aus dem Fenster nur noch einen schwarzen Tunnel sieht, kann sich ziemlich sicher sein, dass die Endstation nicht „Elefantenbaum“ heißt – und schon gar nicht „Breakthrough-Innovation“.

Um etwas Neues zu entdecken, muss man gelegentlich den Tropenhelm aufsetzen, die derben Stiefel schnüren, den Survivalrucksack schultern und sich mit der Machete auf den Weg durch das Gestrüpp machen. Das ist aufregend und unbequem, und der Ausgang ist ungewiss. Spannung und Begeisterung mischen sich mit Erschöpfung und gelegentlich einem flauen Gefühl in der Magengegend. Wer all das spürt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem richtigen Weg.

Aus Abenteuern entstehen spannende Geschichten. Erzählen wir sie und lernen wir voneinander! Haben Sie schon einmal eine Expedition in den Innovationsdschungel unternommen? Welche Survival-Tricks haben Sie dabei entdeckt?  –> Teilen Sie sie mit uns und wirken Sie mit am five is Dschungelbuch unter dschungel@five-is.com