Nach dem ROI einer Idee fragen ist wie beim Kaffeestrauch einen Latte Macchiato bestellen
Für viele eine vertraute Szene: Morgens auf dem Weg zur Arbeit schnappt man sich noch schnell beim Lieblings-Coffeeshop ein koffeinhaltiges Heißgetränk als Treibstoff für die Vormittagsmeetings. Nicht nur in Pandemiezeiten ist es ein Segen, dass man nach weniger als zwei Minuten mit einem perfekt geschäumten Latte in der Hand den Laden schon wieder verlassen kann. Das Stadtleben hat eben durchaus Vorzüge, nicht wahr?
Lassen Sie uns mal kurz dorthin reisen, wo der Kaffee wächst, in den südamerikanischen Regenwald. Statt Straßenlärm singen unbekannte Vögel, Affen schreien in den Bäumen, es ist tropisch warm. Würde sich dort jemand vor einen Kaffeestrauch stellen und einen Latte Macchiato bestellen? Am besten noch mit laktosefreier Milch? – Die Vorstellung mutet absurd an. Wer macht denn sowas?!
So abwegig dieser Gedanke scheint, er ist gar nicht so weit entfernt von einer verbreiteten Praxis. Nehmen wir mal an, Sie sitzen jetzt mit Ihren heißgeliebten Milchschaumgetränk im ersten Meeting des Tages. Es ist die monatliche Ideenbewertung, bei der ein Team von Experten aus F&E, Produktmanagement, Produktion und Vertrieb die neu eingegangenen Ideen diskutiert. Sieben potentielle Innovationen stehen auf der Liste. Zwei werden gleich verworfen mit dem Hinweis, „haben wir schon dreimal abgelehnt, passt nicht zur Strategie“. Bei ein paar weiteren Ideen entspinnt sich eine heftige Diskussion, was denn eigentlich damit gemeint sein könnte, und man einigt sich darauf, dass die Ideengeber da nochmal “Fleisch an den Knochen” bringen sollen.
Die nächste Idee ist schon deutlich klarer beschrieben. Es geht um eine App, mit der die Kunden zum ersten Mal endlich ihr XY nicht nur definieren, sondern auch gleich ein passendes Produkt dafür konfigurieren können. Es ist plötzlich so ehrfürchtig still im Raum, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.
“Wow!”, bricht der Produktmanager das Schweigen, “Das wäre ja der Hammer, damit gewinnen wir mit einem Schlag alle User, die schon seit Jahren mit Z kämpfen!” Doch die Freude währt nicht lange. Die Supply-Chain-Expertin im Team gibt zu bedenken, dass der Logistik-Aufwand dahinter nicht unterschätzt werden dürfe, und der Vertriebskollege wirft ein, dass man diese App ja wohl gratis anbieten müsse, wo läge denn daher der direkte Mehrwert für uns? Man kommt überein, dass das wohl eine tolle Idee sein könnte, aber der Ideengeber doch zunächst auf jeden Fall noch eine Rentabilitätsrechnung für diesen Service liefern muss, damit man überhaupt beurteilen könne, ob sich die Investition lohnt.
Ob es den Beteiligten nun bewusst ist, oder nicht – hier wurde gerade beim Kaffeestrauch ein Latte Macchiato bestellt. Mit laktosefreier Milch, selbstverständlich. Das Risiko für Bauchgrummeln will schließlich niemand eingehen.
Stünde man im Regenwald vor dem Strauch mit den roten Kaffeekirschen, wäre sonnenklar, dass von hier bis zum laktosefreien Latte Macchiato um 3,90 EUR noch ein sehr weiter Weg zu überwinden ist: So stolz man ist, dass man überhaupt die richtige Pflanze identifiziert hat, geht es doch dann erst richtig los. Zunächst einmal muss herausgefunden werden, wie die Bohnen richtig zu ernten sind. Sobald das geschafft ist, steht man vor der nächsten Herausforderung. Müssen die nicht geröstet werden? Herrje, dazu braucht man ein Feuer. Auch das noch. Wie geht das eigentlich ohne Streichhölzer?
Auch was danach kommt, lässt sich erahnen. Selbst wenn die Hürde des Röstens und Mahlens genommen ist, wenn Wasser und ein Gefäß gefunden sind, um eine wohlriechende schwarze Brühe herzustellen, dann bleibt immer noch der Milchschaum als schier unerreichbar. Können Kühe im Dschungel überleben? Und wie bekommt man die Milch laktosefrei? Vielleicht muss für das MVP auch erstmal eine Ziege herhalten, die man sich von den Einheimischen ausleiht. Einige Experimente später weiß man dann wahrscheinlich, dass das Schaumschlagen erst ganz zum Schluss dran ist. Wenn der engagierte Schaumschläger zu früh aktiv wird, ist der ganze Schaum schon wieder in sich zusammengefallen, bis man ihn braucht.
Wer oben noch geschmunzelt hat, dem ist das Lachen mittlerweile wahrscheinlich vergangen. Und so geht es wohl auch dem armen Ideengeber. Er soll das benötigte Investment und den Umsatz präzise abschätzen und auch gleich in eine zeitliche Projektion bringen, denn ohne eine Aussicht auf baldiges Break-Even wird das Ganze gar nicht angepackt. Dazu braucht er selbstredend Klarheit über die Zielgruppe und deren Prozesse, um die Wirtschaftlichkeit aus Kundensicht einschätzen zu können. Er muss sowohl die Entwicklungskosten als auch sämtliche anderen Kosten bis zum Markeintritt zuverlässig vorhersagen, ohne zu wissen, welche denn die geeignetste Technologie für die Umsetzung des neuen Service ist. Natürlich soll er nicht nur ein fertiges Businessmodell aus dem Ärmel schütteln, sondern auch für den prognostizierten Deckungsbeitrag der ersten fünf Jahre geradestehen. An seiner Stelle würden die meisten sich erst einmal einen doppelten Espresso gönnen oder gleich verzweifelt den Kopf auf die Tischplatte schlagen.
Jetzt, wo langsam klar wird, dass die frühe Innovationsphase eher einem Dschungel ähnelt als dem Großstadtleben, ist auch unübersehbar, dass gewohnte Verhaltensweisen uns hier nicht weiterbringen – ja geradezu absurd wirken. Ein schneller Durchmarsch in frisch geputzten Lederschuhen ist vollkommen illusorisch. Stattdessen gilt es hier, sich von Problem zu Problem und von Lösung zu Lösung zu hangeln. Wenn man sich traut, im richtigen Moment das Großstadtverhalten aufzugeben und statt dessen von den Affen im Regenwald zu lernen, behält man in den Baumwipfeln die Orientierung und kann jederzeit neu über den nächsten Schritt entscheiden.
Der lange Weg zum verkaufbaren Neuprodukt gestaltet sich doch zu schwierig? Vielleicht erstmal innehalten, eine Banane essen und die Aussicht genießen. Wer weiß, was man dabei alles entdeckt, oder wer auf der Bananenschale ausrutscht und einen Schlüssel zur nächsten Lösung liefert.
Falls Sie bis hierher gelesen haben: herzlich willkommen im Dschungel!
Sie möchten tiefer vordringen?
→ Freuen Sie sich auf weitere Dschungelgeschichten von five is. Fortsetzung folgt.
Sie selbst haben auch ein Erlebnis aus der frühen Innovationsphase, wo Sie dachten, Sie sind im Urwald, und wo gewohntes Verhalten Sie nicht weitergebracht hat? Was hat Ihnen da geholfen?
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[…] unseren ersten beiden Dschungelgeschichten (Latte Macchiato, U-Bahn) wurde klar, dass die frühe Innovationsphase einem wilden Dschungel gleicht, in dem wir […]