Gestartet war das Unternehmen, ein deutscher Mittelständler, mit einer visionären Strategie für neue Produkt- und Geschäftsmodell-Innovationen. Nun, 16 Monate später, stellt sich heraus, dass viel „Tagesgeschäft“ aber wenig Strategie umgesetzt wurde.

Wir sind eingeladen, die Innovationspraxis zu analysieren, und wohnen einem Innovationsmeeting bei. Dreißig teils hoch dotierte Personen sitzen einmal im Monat zusammen und gehen ein Neuprodukt-Projekt nach dem nächsten durch. Der jeweilige Projektleiter berichtet über die Fortschritte und Ereignisse des Projekts. Einige der Teilnehmer stellen Fragen, der Projektleiter antwortet so gut er kann. Spätestens nach dem achten Projekt raucht uns der Kopf. Gut, dass nur mehr 27 Projekte auf der Agenda stehen. Nach 3 Stunden Meeting ist Folgendes erreicht: viel Information wurde präsentiert, es gab einige wenige Diskussionen, aber keine einzige Entscheidung. Oder kurz gesagt: viel Meeting, wenig Output.

Das Unternehmen benötigt einen Prozess zur strategischen Steuerung der Innovationstätigkeiten – ein Projekt Portfolio Management. Dieses soll sicherstellen, dass die strategischen Ziele in konkrete Entscheidungen über Investitionen in Innovationsprojekte übersetzt werden.
Mit dem Begriff Projekt Portfolio Management verbinden unsere Auftraggeber zunächst Dashboards und schöne Übersichts-Grafiken. Doch Projekt Portfolio Management ist weit mehr als das: Es geht darum, auf Basis von sehr viel Information rund um Neuprodukt-Projekte harte, disziplinierte Investitions-Entscheidungen zu fällen. Wie geht das?

Was muss ein Projekt Portfolio Prozess leisten?

Ein Stage-Gate (oder ähnlicher) Prozess ist darauf ausgerichtet, Projekte in Gates einzeln zu evaluieren, Ressourcen für diese Projekte freizugeben und die Umsetzung der Projekte in den Stages zu optimieren. Ab einer gewissen Anzahl von Projekten geht mit dieser Einzel-Projekt-Betrachtung die Übersicht verloren: der Wald ist vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Projekt Portfolio Management hat dann die Aufgabe, in regelmäßigen Abständen (z.B. einmal pro Quartal) diese Übersicht bereitzustellen und aus dieser Warte die richtigen Entscheidungen herbeizuführen. Drei wesentliche Ziele soll das Projekt Portfolio Management erreichen:

  • Strategie-Fit: Eine Strategie besitzt nur dann einen Wert, wenn man diese auch umsetzt. Das heißt, die strategischen Überlegungen müssen in entsprechende Projekte und konkrete Maßnahmen münden. Das Projekt Portfolio Management soll also sicherstellen, dass jene Neuprodukt-Projekte realisiert werden, welche die Strategie unterstützen. Sieht die Strategie für einen Geschäftsbereich vor, den Marktanteil zu verteidigen und den Markt zu „melken“ solange dieser etwas abwirft, sind wohl Kostensenkungs- und kleinere Verbesserungsprojekte das Mittel der Wahl und nicht Projekte für teure Neuproduktentwicklung.
  • Ertragschancen-Risiko Balance: Kern eines jeden Finanz-Portfolios ist, den Ertrag der Investitionen bei definierter Risikobereitschaft zu maximieren. Entsprechend soll das Innovations-Projekt-Portfolio jenen Mix an Projekten enthalten, der die höchsten Rückflüsse verspricht und uns gleichzeitig ob des eingegangenen Risikos noch ruhig schlafen lässt. Dabei können einzelne Projekte guten Gewissens unterschiedliche Risiken bergen solange das Portfolio insgesamt gut ausbalanciert ist.
  • Optimaler Ressourceneinsatz und richtige Anzahl von Projekten: Schließlich ist es auch noch Aufgabe des Projekt Portfolio Managements, den Überblick über die Vielzahl laufender Projekte zu behalten und sicherzustellen, dass die verfügbaren Ressourcen sinnvoll auf Projekte verteilt werden. Da zusätzliche Projekte den Wert des Gesamtportfolios erhöhen, besteht die Gefahr, in zu viele Projekte parallel investiert wird. Dies führt jedoch zu sinkender Effizienz der Projektbearbeitung, längeren Entwicklungszeiten und somit wieder zu einer Reduktion des Wertes des Portfolios. Die richtige Anzahl an Projekten sicherzustellen ist eine der herausforderndsten Aufgaben in diesem Multi-Projekt-Management.

Warum ist ein Projekt Portfolio Prozess notwendig?

Setzen wir voraus, dass der Neuproduktprozess (ob nun klassisch oder agil) eine gute Informationsbasis zu den laufenden Projekten liefert, die Auskunft gibt über Art des Projekts, Projektdauer, Wirtschaftlichkeitsberechnung, Risikobewertung, Ressourcenbedarf, etc. Dann müsste ein Algorithmus den genau richtigen Mix an Projekten errechnen können. Wir müssten diesen lediglich mit den Prämissen der 3 Ziele füttern.

Daran ist nur ein kleiner Haken: diese Ziele widersprechen sich teilweise. Möglicherweise befindet sich ein Projekt im Portfolio, das zwar einen hohen Rückfluss verspricht, aber nicht unbedingt die Strategie unterstützt. Es bleibt im Ermessen der Entscheider, welches der Ziele in diesem Fall das höhere Gewicht hat.

Wenn also doch noch wir Menschen diese Entscheidungen treffen müssen, dann stehen wir vor der Herausforderung, dass wir bei einem Projekt Portfolio jenseits der 15 Projekte an die Grenzen der menschlichen Datenverarbeitung stoßen. Es stehen zu viele Informationen in zu vielen verschiedenen Dimensionen zur Verfügung, als dass wir diese alle gleichzeitig ins Kalkül ziehen und zu einer eindeutigen Entscheidung kommen könnten. Mit berücksichtigt werden sollten wohl mindestens folgende Informationen:

  • Wirtschaftlichen Eckdaten zu den Projekten, z.B. NPV, IRR, Investitionshöhe, Payback-Time
  • Einschätzungen der Machbarkeit, z.B. Wahrscheinlichkeit, dass wir eine gute technische Lösung finden oder Möglichkeiten, diese im Rahmen unserer Kompetenzen (Prozesstechnik, Anlagen, Logistik, Verkaufskanäle) erfolgreich umzusetzen
  • Einschätzung der Erfolgschancen, z.B. über Attraktivität des Angebots für den Kunden, Wahrscheinlichkeit, dass das neue Produkt vom Markt angenommen wird, Reaktionen von Wettbewerbern
  • Investitions- und Personalressourcenbedarf in den nächsten Stages, Ressourcenengpässe
  • Unternehmens- und Geschäftsbereich-Strategie und viele mehr.

Mit dieser Datenflut kann man zurechtkommen, wenn man die Informationen in einer sinnvollen Reihenfolge betrachtet und Stück für Stück interpretiert, um nachvollziehbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein solcher Entscheidungsfindungsprozess ermöglicht schlussendlich eine klare, von einem Führungsteam gemeinsam getragene Priorisierungs- und Investment-Entscheidung. Mit dem nachfolgenden Beispiel illustrieren wir, wie dieser Prozess aussehen kann. Dabei gilt es zu beachten, dass zwar die Logik für viele Unternehmen richtig sein kann, die Kriterien und Strategic Buckets aber für jedes Unternehmen maßgeschneidert definiert werden müssen.

Wie läuft ein Projekt Portfolio Management Meeting ab?

Bei einem Projekt Portfolio Management Meeting betrachtet ein Management-Team eine Momentaufnahme der laufenden und geplanten Neuprodukt-Projekte. Auf Basis der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen trifft das Team Priorisierungs-Entscheidungen, die bis zum nächsten Meeting im Falle von Ressourcenkonflikten Orientierung geben. Je nach Dynamik des Marktes bzw. des Projekt Portfolios führen Unternehmen in der Regel 2 bis 4 Projekt Portfolio Management Meetings pro Jahr durch.

Ein Projekt-Portfolio Management Meeting beinhaltet 3 Teile:

  • Teil: Update zum gegenwärtigen Status des Projekt-Portfolios
  • Teil: Priorisieren der laufenden Projekte und entscheiden, welche Projekte Ressourcen erhalten und welche nicht
  • Teil: Überprüfen der Balance des Projekt-Portfolios

Im 1. Teil geht es darum, den Entscheidungsträgern eine Übersicht zu geben, was sich seit dem letzten Projekt-Portfolio-Meeting verändert hat, z.B.

  • Wie viele aktive Projekte haben wir?
  • Wie viele Go-, Stop-, Hold-, Recycle-Entscheidungen wurden gefällt? Wie viele Red Flag Gates gab es, und warum?
  • Wie viele neue Projekte wurden gestartet?
  • Inwieweit erreichen wir mit unserem aktuellen Projekt-Portfolio die gesetzten Ziele (z.B. Umsatz/Deckungsbeitrag aus neuen Produkten in 3 Jahren)?
  • Prozess-Kennzahlen: Wie lange dauert ein durchschnittliches Projekt? Wie gut ist die Planungssicherheit? Inwieweit halten die Umsatz-/Deckungsbeitrags-Prognosen der Projekte? Etc. und wie haben sich diese Kennzahlen über die Zeit verändert?

Auf Basis dieser Informationen können die Entscheidungsträger abschätzen, wie „gesund“ das Projekt-Portfolio ist, und in welchem Maß Änderungen angestoßen werden müssen.

Im 2. Teil werden die Prioritäten der Projekte zueinander festgelegt.
Dafür hat sich die Methodik der Strategic Buckets bewährt. Ein Strategic Bucket ist ein aus strategischen Überlegungen festgelegter Budget-Topf für eine bestimmte Art von Projekten. So könnte über die Strategic Buckets beispielsweise die Verteilung der Innovationsressourcen auf Geschäftsfelder gesteuert werden. Geschäftsfeld A soll in Zukunft als Cash-Cow für den Aufbau des zukunftsträchtigeren Geschäftsfelds B dienen. Ein Großteil der Innovations-Ressourcen würde dann wohl in Projekte, die dem Geschäftsfeld B zuzuordnen sind, investiert werden, während Geschäftsfeld A wohl einen kleineren Teil des Gesamtbudgets für kleinere Verbesserungsprojekte zugesprochen bekäme.

Ob die Strategic Buckets nach Geschäftsfeldern, Projekttypen (neue Produkte, Produktverbesserungen, Cost Down, etc.), oder anderen Kriterien gebildet werden, hängt schlussendlich von der strategischen Ausrichtung ab und von der Überlegung, welche Aspekte über das Projekt-Portfolio Management gesteuert werden sollen.

Das Vorgehen im Projekt-Portfolio-Management Meeting könnte folgendermaßen aussehen:

    1. Strategic Bucket für Strategic Bucket werden die Projekte innerhalb der jeweiligen Budgettöpfe (z.B. Geschäftsfeld A) priorisiert. Hierzu sollten Kennzahlen wie z.B. der NPV oder Ergebnis pro noch zu investierender Ressource verwendet werden. Auch qualitative Einschätzungen (z.B. Bewertungen anhand einer Scorecard) kann man heranziehen. Es ist ratsam, die herangezogenen Kennzahlen im Rahmen von Gate-Entscheidungen des Produktentwicklungsprozesses auf deren Belastbarkeit zu überprüfen. Ergebnis dieses Schrittes ist eine Attraktivitäts-Reihung der Projekte innerhalb eines Strategic Buckets.
    2. Dann wird geprüft, wie viele der topgereihten Projekte durchgeführt werden können, bis die Strategic Bucket-Ressourcen aufgebraucht sind. Jene Projekte, für die aus dem Strategic Bucket keine Ressourcen mehr zur Verfügung stehen, erhalten den Status „on hold“.
    3. Mitunter möchte ein Unternehmen mehrere Strategic Bucket-Dimensionen mit dem Projekt-Portfolio-Management steuern. In einem solchen Fall würde das Entscheidungsträger-Team nach der ersten (z.B. Geschäftsfelder) nun die zweite Strategic Bucket-Dimension (z.B. Projekttypen) betrachten und innerhalb der Budgettöpfe die Projekte priorisieren. Wiederum erhalten nur jene Projekte einen Status „go“, die im Rahmen des Budgettopfs durchgeführt werden können.
    4. Als letzten Schritt dieses Teils gilt es zu prüfen, inwieweit dieses vorläufige Projekt-Portfolio Ressourcen­engpässe oder auch Unterauslastung von verfügbaren Ressourcen verursacht. Entsprechend werden weitere Projekte „on hold“ gesetzt oder zusätzliche Projekte wieder aktiviert (auf „go“ gesetzt).

 

Im 3. Teil prüft das Entscheider-Team die Auswirkungen der Entscheidungen auf die Balance des Projekt-Portfolios und die Ressourcen. Im Fokus der Betrachtung stehen

  • die Erreichung der Innovationsziele (z.B. Umsatz/Deckungsbeiträge aus neuen Produkten, Wachstumsbeitrag, etc.)
  • eine gute Balance – jenseits der Dimensionen der Strategic Buckets. So könnte beispielsweise die Auslastung unterschiedlicher Produktionsstandorte durch neue Produkte, die Ertragschancen-Risikoverteilung oder eine machbare Verteilung der Markteinführungstermine auf der Zeitachse eine nicht unbedeutende Betrachtung sein. Ist das neue Projekt-Portfolio in Bezug auf diese Kriterien unausgewogen, sollte es nochmal überdacht und angepasst werden.
  • eine „gesunde“ Anzahl parallel laufender Projekte. Es gilt sicherzustellen, dass einzelne Personen nicht an zu vielen Projekten gleichzeitig arbeiten.

Was verändert ein professionellen Projekt-Portfolio-Managements?

Ca. 1 Jahr nach Einführung eines Projekt-Portfolio-Managements haben wir in besagtem Unternehmen folgende Verbesserungen erreicht:

  • Es besteht jetzt eine gute Übersicht, wofür die Innovationsressourcen aktuell genutzt werden. Dies ist die Basis für die aktive Steuerung der Innovationsaktivitäten.
  • Priorisierungs-Entscheidungen basieren zunehmend auf Fakten und nachvollziehbaren Schlussfolgerungen und weniger auf Meinungen und Emotionen Einzelner.
  • Das Top-Management verfügt nun über ein Werkzeug, die Geschäfts- und Innovationsstrategie in konkrete, operative Investitionsentscheidungen zu übersetzen, ohne direkt in die einzelnen Projekte eingreifen zu müssen und ungeliebtes Micro-Management zu betreiben.
  • Die Anzahl der laufenden Projekte ist um etwa 30% zurück gegangen. Die Projektteams können sich nun auf weniger Projekte fokussieren und diese besser und schneller umsetzen.

 

Wenn Sie mehr über Best Practices im Projekt-Portfolio-Management lernen wollen, gibt es am 15. und 16. Oktober 2019 die Chance beim Seminar „Winning at New Products“ Prof. Robert G. Cooper persönlich kennen zu lernen. Er hat mit seiner Forschung zu diesem Thema die Basis des professionellen Innovationsprojekt-Portfolio-Managements gelegt. Hier finden Sie weitere Informationen zum Seminar.