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Stage-Gate gilt als der State-of-the-Art Innovationsprozess seit etwa 2 Jahrzehnten. Die Grundlogik ist die gleiche geblieben, doch wurde das Stage-Gate-System mehrfach an die Herausforderungen modernen Managements angepasst.
Beyond Stage-Gate – Echte Innovation in Rekordzeit
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Beyond Stage-Gate: Echte Innovationen in Rekordzeit
Im Herbst 2017 hat Professor Dr. Robert G. Cooper die 5. Auflage seines Bestsellers „Winning at New Products“ veröffentlicht und stellt darin eine neue Generation des Stage-Gate® Systems vor. Aus diesem Anlass reflektieren wir die Stage-Gate-Praxis im deutschsprachigen Raum und werfen einen Blick auf die Neuerungen der 5. Generation, die Cooper unter der Überschrift „Beyond Stage-Gate“ einführt.
Wer heute noch ein Stage-Gate-System der 2. Generation verwendet, ist in den 1990ern stehen geblieben und nimmt damit bedeutende Nachteile in Kauf in Bezug auf
• Erfolgsquote von Innovationsprojekten,
• Time-to-Market neuer Produkte und
• Motivation der Projektteams.
Seit den 1980ern wurde das Stage-Gate System in führenden Unternehmen weltweit kontinuierlich weiterentwickelt. Bob Cooper analysierte ständig die aktuellen Praktiken der erfolgreichsten Innovations-systeme und hat diese in der jeweils neuesten Version seines Bestsellers beschrieben: Die 2. Generation (1993) integrierte die Ergebnisse der damals aktuellen Erfolgsfaktorenforschung (z.B. interdisziplinäre Teams, profunde Hausaufgaben vor der Entwicklung, etc.). In der 3. Generation (2000) stand das Beschleunigen von Neuproduktprojekten im Fokus. Die 4. Generation (2011) brachte dann Spiral Development (regelmäßige Kundenfeedbackschleifen), Lean und Open Innovation in die Stage-Gate Systeme. Die 5. Generation „Beyond Stage-Gate“ adressiert die Herausforderung „Bold Innovation in Record Time“.
Wie aktuell ist das Stage-Gate System in Ihrem Unternehmen?
Dies können Sie feststellen, indem Sie prüfen, ob Ihr Innovationssystem systematisch und durchgängig folgende Praktiken sicherstellt:
a) Überzeugender Kundennutzen und Mehrwert für Käufer / Nutzer stehen im gesamten Innovationsprozess im Fokus aller Beteiligten. In allen Phasen setzen wir Aktivitäten, um Anwendung und Anwendungsumfeld sowie Kundenbedürfnisse vertieft zu verstehen.
b) Bei unseren Innovationsprojekten ist ein interdisziplinäres Projektteam durchgehend für die Ergebnisse verantwortlich: von der Konzeptphase über die Entwicklung bis zur erfolgreich eingeführten neuen Marktleistung.
c) Wir fokussieren unsere Ressourcen auf die attraktiven Projekte. Das bedeutet, dass wir an Gates Projekte stoppen, auch wenn es weh tut.
Wenn diese 3 Aussagen auf die Innovationspraxis Ihres Unternehmens zutreffen, lautet die Diagnose: alt aber gut! Ihre Organisation lebt wohl einen Stage-Gate-Prozess der Generation 2 oder 3. Sich mit den Weiterentwicklungen zu beschäftigen wird sich lohnen. Lesen Sie also hier weiter.
Falls a), b) oder c) in Ihrem Unternehmen nicht zum Standard gehört, kann es mehr bringen, zunächst die Grundpfeiler des Stage-Gate Systems zu renovieren bevor Sie sich in Richtung Beyond Stage-Gate bewegen.
Was ist neu – Beyond Stage-Gate?
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Auf den ersten Blick ähnelt Beyond Stage-Gate dem traditionellen Stage-Gate (Generation 2 bis 4). Es gibt Stages, in denen die Projektarbeit verrichtet wird und Gates, an denen Go-Stopp Entscheidungen über das Projekt gefällt werden. Auf den zweiten Blick stechen drei wesentliche Weiterentwicklungen ins Auge:
1. Beyond Stage-Gate ist adaptiv und schnell
Klassische Produktentwicklung kennt ein Lasten- und Pflichtenheft. Zunächst definiert ein interdisziplinäres Team (hoffentlich!), welche Anforderungen das neue Produkt erfüllen und wie es grundsätzlich positioniert werden soll. Je enger dieses Team dabei mit potentiellen Zielkunden interagiert, desto besser. Diese Anforderungen werden dann in technische Spezifikationen übersetzt, die es in der Entwicklungsphase umzusetzen gilt. Dieses Vorgehen hat nachweislich zu tollen Erfolgen geführt.
Seit ein paar Jahren ändern sich jedoch die Rahmenbedingungen für Neuprodukt-Projekte:
− Im Umfeld von Digitalisierung, Internet of Things, Künstlicher Intelligenz, etc. wissen Kunden immer weniger, was sie eigentlich brauchen.
− Trends, Bedürfnisse und Wettbewerbsangebote verändern sich immer schneller. Mitunter ändern sich die Rahmenbedingungen für ein Projekt mehrmals während eines Entwicklungszyklus.
Dadurch ist es beinahe unmöglich geworden, ein vollständiges, längerfristig gültiges Lastenheft zu definieren und „einzufrieren“. Hält eine Organisation an diesem Vorgehen fest, steigt der Anteil der wenig erfolgreichen Projekte bzw. die Projektlaufzeiten verlängern sich mitunter massiv, weil es mehrfach heißt „zurück zum Start“.
In einem Stage-Gate Systeme der neuesten Generation passen die Projektteams das Vorgehen dem jeweiligen Projektkontext an. Drei Praktiken haben Top-Innovatoren dazu etabliert:
• Spiral Development: Über iterative Lernschleifen nähert sich das Projektteam gemeinsam mit potenziellen Zielkunden dem finalen neuen Produkt an. Diese Iterationen finden in allen Projektphasen statt. Das kann bedeuten, dass das zu entwickelnde Produkt zu Beginn der Entwicklungsphase noch zu weniger als 50% definiert ist.
• Kontextbasierte Stages und Gates: Kein Projekt ist genau wie das andere. Diesem Umstand muss der Prozess gerecht werden. In einem Beyond Stage-Gate System wird daher die Anzahl der Stages und Gates dem Risiko bzw. der Komplexität des Projekts angepasst. Je höher das Risiko / die Komplexität desto mehr Gates im Sinn von Qualitäts und Ressourcen-Kontrollpunkten sollte das Projekt durchlaufen. Zunehmend haben Unternehmen mehrere Stage-Gate-Prozesse für unterschiedliche Projekttypen installiert, z.B. für „echte“ Innovationen, für Modifikationen bestehender Produkte, für Technologie- und Plattformentwicklungen. Neben der Anzahl der Stages und Gates werden auch die Kriterien zur Bewertung der Attraktivität der Projekte an den jeweiligen Typ angepasst. Während bei Produktmodifikationen eine frühe finanzielle Bewertung gut machbar ist und sich für die Priorisierung der Projekte gut eignet, ist das Heranziehen der gleichen Kriterien für Innovationen mit hohem Neuheitsgrad oder auch für Plattformentwicklungen nicht ungefährlich. Bei solchen Vorhaben stehen in den frühen Projektphasen noch keine belastbaren Zahlen zur Verfügung. Erste Schätzungen liegen mitunter um Potenzen daneben. Stage-Gate-Systeme mit Fokus auf finanzielle Kriterien „produzieren“ Projektportfolios mit vielen Low-hanging Fruits und wenigen wirklich zukunftssichernden Entwicklungen. Die besten Innovatoren vertrauen bei dieser Art von Projekten auf Kriterien, welche die Erfolgskriterien innovativer Produkte abprüfen, z.B. Kundennutzen, Überlegenheit gegenüber Wettbewerbslösungen, Marktattraktivität, Machbarkeit, etc.
• Risk-based Contingency Model: Innerhalb der Stages ist die Zeit des „sklavischen“ Abarbeitens von Checklisten endgültig vorbei. Das Projektteam identifiziert jene Aktivitäten, welche das Projekt am effizientesten voranbringen und Ungewissheit bzw. Risiken rasch reduzieren. Dieses Vorgehen wird
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dann am Gate mit den Gatekeepern vereinbart. Die Deliverables für das darauf folgende Gate werden entsprechend festgelegt. Cooper empfiehlt dazu – insbesondere zu Beginn des Projekts – das „
Innovation Project Canvas“ als Werkzeug. Unternehmen, die es einsetzen, berichten von einer Verkürzung der frühen Projektphase um 1 bis 2 Monate bei gleicher oder sogar höherer Qualität der Ergebnisse.
2. Agiles Entwickeln im Stage-Gate System
Der Begriff agil ist seit etwa 4 Jahren aus den Programmen der Innovationskonferenzen nicht mehr wegzudenken. Aus der Software-Entwicklung kommend haben in den letzten Jahren agile Methoden und Denkweisen die Entwicklung von physischen Produkten massiv geprägt.
Auch wenn der eine oder andere agile „Evangelist“ in Agil den alleinigen Heilsbringer für alle Probleme in der Entwicklung sieht, setzen führende Unternehmen wie Honeywell, LEGO, Danfoss, Corning oder Tetra Pak auf hybride Agile-Stage-Gate-Systeme.
• Das Stage-Gate System bildet hierbei den Rahmen für alle Neuprodukt-Aktivitäten der Organisation und stellt sicher, dass die richtigen Projekte effizient und schnell zum Erfolg geführt werden.
• Agile Methoden setzen hingegen primär an der Projektmanagement-Ebene an und verbessern die Motivation der Projektteams sowie die Transparenz und Lernfähigkeit in den Projekten. *
Ein hybrides Agiles Stage-Gate-System sieht also die Nutzung von agilem Projektmanagement innerhalb der Stages vor, während die Gates dieselbe Funktion wie im klassischen Stage-Gate-Prozess erfüllen.
* Agile Methoden werden vielfach mit dem Versprechen auf verkürzte Produktentwicklung, bessere Termintreue, reduzierte Entwicklungskosten oder erhöhte Produktivität des Entwicklungsprojekts eingeführt. Die Universität der Bundeswehr München hat auf der Agile PEP Minds 2017 eine Studie vorgestellt, die entsprechende Erwartungen / Versprechungen relativiert.
Was kennzeichnet agiles Entwickeln?
• Eine komplexe Herausforderung wird in kleine, im Rahmen von 1 bis 4 Wochen zu lösende Teilaspekte unterteilt. Diese werden hinsichtlich Nutzenbeitrag für den Kunden priorisiert und in getakteten Sprints umgesetzt. Ziel ist dabei, in jedem Sprint ein möglichst fertiges und für den Kunden bereits nutzbares Ergebnis zu erzielen. Eine Vielzahl an Spielregeln, Methoden und Werkzeugen (z.B. kurze tägliche Abstimmungsmeetings, Lernschleifen nach jedem Sprint) stellt sicher, dass innerhalb und außerhalb des Projektteams jederzeit sichtbar ist, wer gerade an welchem Puzzleteil des Projekts arbeitet.
• Agil ist nicht nur als Methodenset zu verstehen, sondern als spezielles Mindset. Das agile Projektteam agiert weitgehend selbstorganisiert und verantwortet die Ergebnisse jedes Sprints. In vielen Projektteams löst dies eine hohe Dynamik und Motivation aus.
• Ein wichtiger Aspekt des agilen Selbstverständnisses ist mit der Aussage „Experimentieren statt Diskutieren“ gut beschrieben. Bevor ein Thema, ein Lösungsansatz oder ein Nutzen „zerredet“ wird, überlegt sich das Team, wie es dazu möglichst praktische Erfahrungen machen kann. Idealerweise wird dabei dann auch direkt der Kunde eingebunden.
Klassisches wie agiles Projektmanagement haben Stärken und Schwächen. Der größte Unterschied liegt wohl im Umgang mit Planung und Unvorhergesehenem. Im klassischen Projektmanagement wird versucht, einen möglichst realistischen Plan bis zur Zielerreichung (z.B. Abschluss eines Stages) zu erstellen und einzuhalten. Unvorhergesehene Ereignisse und Ergebnisse werden als Störung empfunden bzw. erfordern gekonntes Risiko- und Ressourcenmanagement. Im agilen Projektmanagement wird zwar auch ein grober Gesamtprojektplan erstellt, der Fokus liegt aber wesentlich stärker auf dem in den
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nächsten 1 bis 3 Sprints Erreichbaren. Neue Erkenntnisse oder auch veränderte Prioritäten der Aktivitäten werden von Sprint zu Sprint berücksichtigt, ohne jedes Mal das Projekt neu planen zu müssen. Dieser Aspekt qualifiziert agiles Projektmanagement insbesondere für Projekte in einem ungewissen und komplexen Umfeld – sprich: Projekte in den frühen Projektphasen und/oder mit hohem Innovationsgrad.
Die Firma Corning setzt agiles Projektmanagement beispielsweise vornehmlich bei den Projekten mit hohem Risiko ein (maximal 20% der Projekte). Für einfache, gut vorhersehbare Produktmodifikationen scheint klassisches Projektmanagement effizienter zu sein.
3. Stage-Gate als ganzheitliches System
Stage-Gate war ursprünglich als Anleitung für erfolgreiche Projektumsetzung von der Idee bis zum fertigen Produkt am Markt konzipiert. Im Zuge der Evolution über 3 Jahrzehnte ist daraus ein ganzheitliches Innovationssystem geworden. Dieses umfasst methodische Ansätze zur Innovationssteuerung, die weit über Stage-Gate-Prozesse für verschiedene Projektarten hinausgehen. Dazu gehören z.B. Ansätze für die Definition von Innovationszielen und Suchfeldern, für das Projekt-Portfolio-Management, das Ideenmanagement, und das Innovationscontrolling. Diese sind eng verzahnt mit Aspekten der Führung und Organisationskultur.
Beispielsweise vereinbart im Gatemeeting das Projektteam mit den Gatekeepern, dass das Team die geforderten Ressourcen bekommt, um im nächsten Stage ein Projekt bis zu einem gewissen Reifegrad in hoher Qualität und Effizienz selbstverantwortlich weiterzuentwickeln. Die Freiheitsgrade des Projektteams während des Stages sind hoch, die Einmischung der Führungskräfte gering. Beim nächsten Gate prüfen die Gatekeeper die Qualität und Belastbarkeit der Ergebnisse des vorangegangenen Stages und bewerten die Attraktivität des Projekts für das Unternehmen. Diese im Gate validierten Informationen (z.B. Kennzahlen zur wirtschaftlichen Attraktivität, Ressourcenbedarfe) stehen dann für strategische Priorisierungsentscheidungen im Projekt-Portfolio-Management zur Verfügung. Ressourcenengpässe können frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.
Damit die Entscheider über das Projekt-Portfolio vor lauter Projekte- und Ressourcenjonglieren nicht die übergeordnete Strategie aus den Augen verlieren, wird diese in strategische Ressourcentöpfe (Strategic Buckets) übersetzt und dient im Portfolio-Prozess als Leitplanke für Priorisierungsentscheidungen. Identifiziert das Entscheiderteam Lücken in einem oder mehreren Strategic Buckets, initiiert es eine Ideenkampagne zur Generierung neuer Ideen für dieses Strategiefeld.
Werden nun Änderungen im Stage-Gate-System vorgenommen, z.B. agiles Projektmanagement wird für radikale Innovationsprojekte eingeführt, ist es wichtig, die Auswirkungen auf das gesamte System zu berücksichtigen und die Neuerung in geeigneter Weise in die Prozesslandschaft entsprechend einzubetten.
Das Schmiermittel eines Beyond-Stage-Gate-Systems ist ein innovationsförderndes Klima, das geprägt ist von gelebtem Intrapreneurship, lern- und chancenorientierter Zusammenarbeit und einem ebensolchen Umgang mit Fehlern oder Scheitern. Dieses zu gestalten bzw. sich entfalten zu lassen muss Teil jeder Innovationsmanagement-Verantwortung sein.
Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Wenn Sie die Innovationspraxis im eigenen Unternehmen neu- oder umgestalten, renovieren Sie bei Bedarf zunächst die Grundpfeiler Ihres Stage-Gate-Systems: starke Markt- und Kundenorientierung im
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gesamten Prozess, echtes Teamwork in funktionsübergreifenden Teams, klare und verbindliche Ressourcenentscheidungen („Gates with Teeth“), und nicht zuletzt das Trichterprinzip, das bedeutet in viele Ideen ein wenig investieren, um in wenige gute Projekte viel zu investieren. Das heisst auch, zu vielen Themen „nein“ zu sagen.
Die Firma Danfoss hat beispielsweise zunächst ihren bestehenden Prozess optimiert und schlanker gestaltet. Der Prozessverantwortliche berichtet, dass Projekte durch diese Maßnahme um bis zu 50% beschleunigt wurden. Erst in einem zweiten Schritt wurde Beyond Stage-Gate eingeführt, was noch einmal zu einer Verkürzung der Projektdurchlaufzeit von ca. 30% geführt hat.
Der Autor:
Mag. Peter Fürst ist Geschäftsführender Gesellschafter der five is innovation consulting gmbh, Berater und Trainer.
Er ist Experte für die Gestaltung und Optimierung von Innovationssystemen und für Methoden zur Ideenfindung. Mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Innovationsberatung sowie ein Lehrauftrag für Innovationsmanagement an der FH Vorarlberg zeugen davon. Am liebsten betreut Peter Innovationsvorhaben von der Idee bis zur Umsetzung. Er ist ein charmanter Querdenker, der Andere auf der Suche nach neuen Ideen und Lösungen inspiriert. Mail: p.fuerst@five-is.com, Tel: +43 676 5522506